Wir sind zur Freiheit verurteilt. Mit der Geburt werden wir ins Leben geworfen – ohne, dass jemals jemand nach unserem Einverständnis gefragt hätte. Und es liegt allein an uns, unserem Leben einen Entwurf, einen Sinn zu geben – als Autorinnen und Protagonistinnen unserer eigenen Lebensgeschichte. Dieses schon damals nicht unumstrittene Konzept von radikaler menschlicher Freiheit klingt heute realistischer, als noch zu Sartres Lebzeiten. Denn die Wahlmöglichkeiten eines selbstbestimmten Lebens – von der Berufswahl, dem Lebensstil, dem Beziehungsmodell bis zur Weltanschauung – sind heute freier und zahlreicher als noch in den 50er Jahren.
Doch schon Sartre wusste: Diese Freiheit kommt zu einem hohen Preis. Sie ist schmerzhaft und anstrengend. Sie konfrontiert uns mit einer tiefen, existenziellen Angst. Denn wenn allein wir selbst dafür verantwortlich sind, eine Antwort auf die Frage nach dem guten Leben zu finden, können wir niemand anderen beschuldigen, wenn wir scheitern. Stattdessen müssen wir immerzu in dem Bewusstsein handeln, dass wir auch anders leben könnten; dass das Leben, das wir führen, nur eines von unendlich vielen möglichen ist. Die Kapitulation vor dieser Omnipräsenz der freien Wahl nennt Sartre „Mauvaise foi“ (wörtlich übersetzt etwa „schlechter Glaube“). Gemeint ist eine Flucht in die Unaufrichtigkeit: Wir reden uns ein, das Leben, das wir leben, sei notwendig. Dass wir in jener Stadt, in jenem Beruf, mit jenem Partner in jener Wohnung leben, wollen wir dann als Vorbestimmung, als das Resultat unserer Erziehung und äußerer Umstände, oder schlicht als das einzig denkbare Leben verstanden wissen. So geben wir unsere Freiheit auf, um der quälenden Frage, wer wir sind und wer wir sein wollen, zu entkommen. Doch so beängstigend der Gebrauch unserer Freiheit auch sein mag: Für Sartre ist die Mauvaise foi keine Alternative. Ein authentisches Leben kann nur führen, wer sich seiner Selbstbestimmung bewusst ist.
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Ist Existenzialismus für alle Menschen möglich?