Nachtcafé#1
Die junge Frau mit den tief grünen Augen war maximal siebzehn, noch
eher ein Kind als eine Erwachsene. Zwar war an ihrem Gesicht und Körper
kaum mehr etwas kindliches zu sehen, doch strahlten ihre Augen die
Naivität und Frische der Jungend aus die nur bei jungen Leuten zu sehen
ist.
"Deine Augen sind wie die Bäume im August" hatte ihre
Schwester immer zu ihr gesagt, als sie noch jünger waren. Doch auch im
August scheint es Regen zu geben, denn ein glasiger Schatten legte sich
über ihre Augen, als sie das Gesicht in die Hände vergrub, um die Welt
um sich herum auszusperren und zu verdunkeln. Zusammengekauert saß sie
auf ihrem Bett, den Kopf an die Knie gepresst, während die Sturzbäche
sie überfluteten und sich das Sommergewitter ihrer Augen in voller
Stärke ergoss. Ertrinken wollte sie an ihren eigenen Tränen. Ersticken
an dem rauen Jeansstoff ihrer Hose. Erlischen sollte der ewig grüne
August.
Ihr Vater, noch immer im Arbeitsanzug und mit
Aktentasche, klopfte an die helle Tür des Kinderzimmers. Zögernd drückte
er die Türklinke runter, als er keine Antwort hörte. Es ergab sich der
Anblick seiner Tochter, die weinend ihren Kopf hebte, um ihn in Kaskaden
der Bestürzung zu ertränken. Was war los? Was vermochte seinem Engel,
seinem ein und alles solchen Kummer bereiten, dass sie in solcher Trauer
schwimmt?
Er wollte sie fragen was passiert sei, doch sprach ihr Blick in tausend Bänden, um seine Lippen zu versiegeln.
Sie
wollte nicht sprechen. Sie wollte nicht hören. Sie wollte nicht sehen.
Sie sehnte sich nur nach seinen starken Armen, in denen sie sich wiegen
konnte, wie ein Schiff auf hoher See. In denen die Welt noch klein war
und sie noch kleiner.
Wie einem unausgesprochenem Hilfeschrei
folgend kroch er zu seiner Tochter ins Bett, legte seine Arme um sie,
zog sie an sich ran und tätschelte ihr den Kopf. Als würde er einen Damm
brechen fing seine Tochter an noch heftigere Regengüsse zu weinen. Wie
vom Wind geschütteltes Espenlaub klammerte sie sich bei jedem Heulkrampf
an ihn und er drückte sie immer fester an sich, um sich schließlich mit
ihr in seinen armen hin und her zu wiegen, wie er es schon tausendmal
zuvor gemacht hatte, wenn sie sehr krank war oder schlecht schlafen
konnte. Doch war das schon lange her gewesen.
Was war nur aus der
Zeit geworden? Wo war sie so plötzlich hin verschwunden? Ihm packte die
Angst er hätte seine Tochter über die letzten Jahre verloren, dass
realisierend umschloss er sie noch ein wenig fester, als wollte er sich
die letzten Jahre zurück wünschen, als wollte sein kleines Mädchen
zurück.
Die Schatten wurden länger und es verging eine ganze
Zeit, bis das Mädchen mit den grünen Augen keine Kraft mehr zum wispern,
zum schütteln und zum weinen hatte. Bis die warmen Arme ihres Vaters
sie ausgetrocknet haben und in wohligen Schlaf wiegen konnten. Doch es
dauerte noch bis der Vater sich traute sein wertvollstes Gut aus den
Händen zu lassen. Wie ein Seefahrer der sich nicht eher Schlaf gönnt bis
der Sturm vorbei ist harrte er noch neben seiner Tochter aus und erst
als die Schatten zu Dunkelheit wurden wagte er es aufzustehen, seine
Tochter zuzudecken und an Land zu gehen.
Ja friedlich
lag sie da. In schweren traumlosen Schlaf gefallen wie man es nur kann
wenn einem das Herz zu schwach für jegliche neue Regung ist. Als wäre
nichts passiert schlummerte sie in ihrem unscheinbarem Bett. Das Mädchen
mit den tief grünen Augen und...
in ihrer Hand, noch immer fest umklammert, die Quittung für die Babyschuhe die nun doch nicht mehr gebraucht werden.