Auszüge und Geschichten

  • Wer es nicht weiß, der sieht es hier, ich schreibe zu viel.


    Seit meiner Kindheit versuche ich mich im Verfassen von Kurzgeschichten und längeren, zusammenhängenden Stücken.
    Ein autobiographisches Machwerk ist ebenso in Arbeit, aber niemals der Fertigstellung nahe.
    Reiseberichte meiner, zugegebenermaßen, recht kuriosen Reiseerlebnisse sind darunter.
    Geschichten aus dem Reich der Fantasie und Märchen, Sciencefiction und dem Horror.
    Ich mochte früher Jack London sehr, wegen seines unterhaltsamen Stils und seiner Gabe schnell Spannung aufzubauen.
    Kurzgeschichten liegen mir recht gut, wie ich meine.


    An Öffentlichkeit lag mir nie viel, aber es macht mir ab und an Freude etwas auszustellen.
    Die wenigsten Texte werden gelesen, noch weniger gemocht.
    Aber es mag sein dass es Ausnahmen gibt - deshalb dieser Beitrag nun von mir.


    Es wäre vermessen für jeden Erguss einen Beitrag zu eröffnen und zudem auch unsinnig.
    Deshalb bekommt jedes Stück einen Titel und eine Teilnummer.
    Dann ist es etwas übersichtlicher zu lesen... hoffe ich.


    Den Anfang macht einer meiner ersten langen Reiseberichte, der eine Wanderung in den Alpen schildert.
    Ich habe ihn für das Forum überarbeitet, da er sonst viel zu lang wäre.
    Außerdem muss ich immer irgendetwas ändern, wenn ich es nochmal lese.
    ... ich hoffe es bringt kurzweilige Unterhaltung. :halloweenhappy:

    ---Kein Anschluss unter dieser Katze---

  • Berge – für die einen lediglich eine Anhäufung von sehr viel massivem Fels und noch weitaus mehr lockerem Fels, sowie Garant für Blasen an den Füßen, Rückenschmerzen und Muskelkater.
    Für die anderen ein Spielplatz der Natur, unergründliche Schönheit, unzählige Wunder und Garant für erlebte Freiheit.


    Da war ich also angelangt, in den Tiefen der deutsch-österreichischen Alpen. Zahlreiche Schilder wiesen mich schon auf der Hinfahrt auf die tunlichst zu vermeidenden Tätigkeiten hin.
    Ein wahrhafter Wald aus Verboten erstreckte sich links und rechts der Straße und erklärte jedwedem Besucher dass er lediglich Bittsteller war, keinesfalls Besucher.
    Allenthalben wurde auf Ruhe und Rücksichtnahme gegenüber der Natur hingewiesen. Umso erstaunter war ich denn, als ich keine hundert Meter die Straße empor ein gewaltiges Kieswerk sah,
    in dem munter bunte Kipplader auf und nieder fuhren. Sie türmten unermüdlich den Kies des Flusses zu kleinen und auch großen Häufen; man könnte meinen es bereite ihnen einfach Spaß und habe keinen tieferen Sinn.
    Die Straße nahm an Windungen zu und an Qualität ab.


    Risse und Schlaglöcher zierten sie nunmehr und ließen das Fahrerlebnis zu einer Wildwasserfahrt mutieren.
    Letztlich kannte ich jedoch die großen Löcher schon. Alte Bekannte, in Jahren gewachsen, der stupiden Ignoranz der bayrischen Forstwirtschaft entsprungen und aufgrund ihrer finanziellen Engstirnigkeit niemals ordentlich befüllt.
    Einige besaßen bereits klingende Namen, wie „Achsenbrecher“ oder „Gelenknudler“. Ich erwartete jedes Jahr aufs Neue dass ein treuer Anhänger jener Straßenschäden ein Gedenkschild aufgestellt haben mochte, auf dem er jedem einzelnen ein Loblied singt. Ab und an fand sich auch ein solches Denkmal, doch handelte es sich hierbei lediglich um die Kreuze die die toten Motorradfahrer ehrten, deren letzte Begegnung mit „Achsenbrecher“ und „Gelenknudler“ keinesfalls glücklich ausgingen.
    Unbeachtet dieser alljährlich zu sehenden und altbekannten Lappalien, drang mein vor Rost starrendes Gefährt, mit mir als lenkenden Insassen, tiefer in dieses, auf diversen Landkarten als „Wildnis“ deklariertes, Gebiet vor.
    Die Straße wand sich eine stark bewaldete Talsohle empor, immer bergan, in engen und weiten Kurven. Zu beiden Seiten säumten steile bewaldete Berghänge das Tal, so dass es unmöglich war die Gipfel aus dem Auto heraus zu erkennen, außer man reckte den Kopf aus dem offenen Fenster. Die ersten Blätter färbten sich, es war Spätsommer und auf den höchsten Gipfeln des Hauptmassivs lag bereits frischer Schnee. Die Nächte waren kalt die letzten Wochen und erst langsam stellte sich ruhigeres und milderes Wetter ein. Der Gegenverkehr schien mir teils lebensmüde, teils mörderisch. Motorräder sausten in atemberaubender Geschwindigkeit an meinem linken Außenspiegel vorbei und ich ertappte mich dabei den rechten Straßenrand in jeder Kurve mit größerer Zuneigung zu suchen als zuvor. Ich näherte mich dem Ziel meiner Fahrt. Kaum hatte ich den Sockel des Berges, zu dessen Füßen die Straße verlief, erreicht und war über die Staumauer eines Sees gefahren, verflüchtigte sich der dichte Gegenverkehr und ich humpelte mit meinem rostigen Schrottkasten eine noch weitaus schlechtere Straße entlang. Mein Rücken und die zerbrechlichen Ausrüstungsgegenstände litten unter diesem Umstand, doch brachte mich jede kleine umschlagende Zahl auf meinem Kilometerzähler näher ans Ziel. Bereits an der Festigkeit meiner Federbeine zweifelnd gelangte ich dann auch schlussendlich dorthin, wohin es mich schon Monate zuvor in meinen Träumen sehnsüchtig gezogen hatte.


    Vor mir öffnete sich ein weites Tal, durch dass sich ein großer Gebirgsbach schlängelte. Mit an Unverschämtheit grenzender Selbstverständlichkeit parkte ich meinen Wagen drei Meter vor dem Verbotsschild, welches sowohl das Parken als auch die Durchfahrt verbot, in einer Nische. Huldvoll schälte ich meinen Körper aus dem Fahrersitz und bog mein Rückgrat in eine natürliche Form zurück. Um den Umstand meiner Verbiegung zu kaschieren und vor mir selbst zu verstecken begann ich damit die Umgebung in tippelnden Schritten auf der Stelle zu sondieren, woraufhin mir so mancher erleichterter Seufzer entfleuchte.
    Ein typischer Duft der Berge stieg mir in die Nase, abgesehen von dem Duft der heißen Bremsklötze meines Wagens natürlich. Der Duft nach kalter klarer Luft, zertretenem wilden Thymian, Chlorophyll und Kuhdung. Eine dieser Lüftchen die von Touristen gerne mit den Worten: „Eine Luft zum hineinbeißen!“ bezeichnet wird. Erhebend, dieses Gefühl der Ankunft.


    Ich begann sodann den Wagen seines Inhaltes zu entleeren und zu sichten ob auch alles tatsächlich an seinem Platz sei. Viel hatte ich nie dabei, schon seit Kindheitstagen nicht. Wozu auch mehr tragen, als dass, was unabdingbar erscheint. Und selbst dies ist meist noch zu viel und wiegt zu schwer. Der Schlafsack quoll aus seinem Beutel, so dass ich ihn zuerst wieder überreden musste hinein zu gehen. Danach prangte er auf dem Deckel des alten Armeerucksacks, der seit Jahren seinen Dienst tat und nur manchmal angelegentlich Sabotage betrieb, indem er eine Schnalle verlor oder eine Naht platzen ließ. Unzählige Flicken und Nähte, ein langes Stück Draht und Heftklammern hatten ihn letztlich immer wieder ins Leben zurück geholt. Ein tapferer Kämpfer gegen das Vergehen war er, dieser Rucksack. Und ich hasste ihn für seine Unbequemlichkeit, für seine Unförmigkeit und überhaupt alles. Aber deshalb war er mir lieb – damit konnte ich wenigstens jemandem die Schuld geben, wenn mich des Abends der Rücken schmerzte. So hatte jeder etwas davon. Nachdem der Schlafsack wieder verzurrt war und keinen Mucks mehr von sich gab, widmete ich mich der neuerlichen Sichtung des Innenlebens meines verhassten Rucksackes. Allem Anschein nach war alles heil geblieben, allerdings war die Ordnung beim Teufel. Alles flog sinnlos von einem Ort zum anderen und letztlich beließ ich es dabei, obwohl ich natürlich für mein Seelenheil so tat, als würde ich die Ordnung wiederherstellen.


    Da waren also die Aluminiumnäpfe des billigsten Fertiggerichtes dass man in Discountmärkten erstehen konnte, für jeden Tag eines, zehn an der Zahl, als Zehrung für das Nötigste. Der Traum des Selbsternährers musste aufgrund gesetzlicher Notstände in diesem Land leider geträumt bleiben. Letztlich erfüllten aber die Bisamratten und Igel auf deutschen Landstraßen durchaus ihren Zweck der Übung und so konnte ich letztlich nicht exakt bekunden welche Nahrung widerwärtiger schmeckte, die Fertiggerichte oder die überfahrenen, nicht unter das Jagdgesetz fallenden Tiere. Letztlich entschied ich mich für die Tiere, da sie meist arg nach Gummi und Abgasen zu schmecken pflegten. Dieser geistigen Abschweifung zum Trotz fand ich meinen Gaskocher, der mir für den Fall des unaufhörlichen Dauerregens das Essen erwärmen sollte. Letztlich würde ich aber auf Feuer setzen, gleichwohl man in diesem Land für wildes Feuer generell erschossen wird. Es gibt Dinge im Leben, die man sich nicht nehmen lassen sollte. Darunter fällt auch das Recht mit Sorgfalt und Verantwortung dem Urbedürfnis des Menschen nach einem eigenen Lagerfeuer nachzukommen. Andere Menschen fliegen für tausende in den Urlaub, unsereins kalkuliert das Bußgeld bereits in seine Urlaubskosten mit ein, so gönnt das Leben jedem seine Unkosten. Letztlich kommt man doch billiger über die Runden, weil man sich ja nicht erwischen lässt. Welch Frevel an der Gesellschaftsordnung.


    Die Gaskartusche wanderte mitsamt des Kochers in eine Ecke des Stauraumes, eingeklemmt zwischen meinem Buch, dass mir die Trübsal kalter Morgen vertreiben sollte und dem kleinen Radio, dass mir den Wetterbericht einbringen sollte, damit ich nicht von Unwetterfronten überrascht und letztlich dumm dastehen würde. Irgendwo gammelte eine alte zerknitterte Landkarte herum, aber ich konnte sie unter den zahllosen Unterhosen und Socken nicht finden. Also erklärte ich sie offiziell für vermisst, aber nicht tot und verließ mich auf meine Ortskenntnis. In der Rückentasche prangte die unbequeme zusammenfaltbare militärische Isoliermatte und grinste mir hämisch entgegen. In ihrer olivfarbenen Hässlichkeit besaß sie direkt den Charme eines Bettes, sofern man eben nichts anderes als den nackten Boden sein Eigen nennt. Normalerweise bevorzuge ich Schlafhöhlen aus Nadelholz, toten Blättern, Moos und großen lebenden Blättern als Dach, doch in diesen Gegenenden wird man für das bloße betreten der Landschaft schon erschossen – eigentlich wäre es demnach egal, ob man die Landschaft zu Hügeln auftürmt, da man ja ohnehin erschossen würde, aber ich dachte mir, es sei eine noble Geste wenn ich der Obrigkeit ihre Liebe zum Verbot belasse. Stattdessen fand ich auch die große Plane, die mir als Dach dienen sollte, sowie die Ösen, Haken und Riemen zur Befestigung an den Bäumen. Neudeutsch nennt man dieses Gerät Tarpulin, das ist eingängiger in Werbetexten und macht einen schlanken Fuß, wenn man es dem staunenden unbedarften Sörfeifel-Neuling erklärt.


    Anders als so mancher Anhänger der Westentaschen-Überlebenskunst, beschäftigt sich der Könner eigentlich viel lieber mit Dingen die man in jedem Supermarkt findet. Mülltüten zum Beispiel. Sie sind die Lebensretter jeder Lage, transportieren Wasser, Erdreich, Blätter, Fleisch, Blut, Maden, dienen als Kleidung und Schuh, helfen bei Wundversorgung und geben treffliche Bindfäden bzw. Schnüre ab. Geflochten sollen sich schon Leute daran abgeseilt haben. Sicherlich ein wortwörtlich dehnbarer Begriff. Über diese Helden des Alltags spricht keiner. Aber über das überteuerte Multifunktions-Metallgerümpel eines mehr oder minder erfahrenen Ex-Soldaten der meint er habe das Anrecht über die Medien die Menschheit mit halbvergorenen Weisheiten zu beglücken und aus seinem Namen eine eingetragene Marke zu machen, über dies redet sogleich jeder. Nun, wer sich schon Bär nennt, kann kein Meister sein. Nur Würstchen geben überall ihren Senf dazu.


    Das war es also, das Rüstzeug mit dem ich meinen kleinen Trip zur Entspannung antrat. Keinesfalls viel, aber für mich doch mehr als üblich. Am Leib trug ich meine alte abgetragene olivfarbene Kombination inklusive Fellfutter, die alten ausgelatschten Turnschuhe und gegen die kalten Nächte eine Wollmütze. Warum auch mehr haben, wenn doch ohnehin alles verloren scheint.
    Mein Erscheinungsbild ähnelte also weit mehr dem, was die Stadtbevölkerung als Waldschrat betitelt, denn einem heroischen Abenteurer in moderner Hightech-Kleidung. Die Atmungsaktivität meiner Kombination beschränkte sich auf das Öffnen und Schließen des langen Reißverschlusses und der Feuchtigkeitstranpsort vollzog sich vornehmlich von außen nach innen. Die einzige Gegenmaßnahme war, sich durch Bewegung dergestalt zu erwärmen, dass die Körperhitze das Wasser zu Dampf werden ließ, welcher dann am Hals, an meinem Kinn vorbei, gen Himmel stieg. Als solches eine sehr treffliche Gesichtsheizung.
    Ich schloss meine Karre ab, klappte die Spiegel um, hängte den obligatorischen Zettel an die Windschutzscheibe „Wenn die Kiste am 25. hier noch steht, bin ich entweder tot, oder schwer verletzt. Im ersten Fall bitte folgende Personen anrufen… im zweiten Fall bitte ebendiese Personen anrufen und ggf. Suche einleiten, so erwünscht.“
    Mein Humor beschränkte sich auch zur damaligen Zeit nicht nur auf das Verbale. Allerdings meine ich im Nachhinein bemerken zu dürfen, dass es kein sonderlicher Ansporn für die Rettungsmannschaften gewesen wäre, diesen Zettel zu finden. Ich hätte doch ein „Vielen Dank“ anhängen sollen. Jedoch war der Zettel zu klein. Nun, beim nächsten Versuch soll es so sein.


    Ich schwang sodann meinen Rucksack unter Fluchen auf meinen Rücken und war glücklich als dass dieses Manöver ohne mehrerer Versuche vonstatten ging. Gewöhnlich verwehrte mir mein leidenschaftlich gehasster Rucksack diese Gunst und strafte mich mit verdrehten Gurten, klemmenden Schnallen und infernalisch stechendem Innenleben.
    Diesmal behandelte er mich also nett. Ich danke ihm grunzend für diese Liebe und beschritt nun den Weg meiner eigentlichen Reise.


    Einige hundert Meter musste ich die Asphaltstraße entlang, bis ich zu einer alten steinernen Brücke gelange. Sie führte über den Wildbach und war das letzte Stück Straßenbautechnik der nächsten fünfzig Quadratkilometer. Hinter der Brücke führte die Straße keine hundert Meter weiter ins Nichts. Einst lag hier ein großer Berghof, der nach seiner landwirtschaftlichen Pleite zu einem Hotel umgebaut worden war, nun aber seit mehreren Jahren als abgebrannte Ruine in der Landschaft stand und verrottete. Mir war es recht, hatte ich doch so einen äußerst angenehmen Einstiegspunkt.


    Mein Weg sollte mich über verschlungene Pfade kreuz und quer durch das Bachbett führen, von einer Seite des Tals zur anderen und zurück. Insgesamt hatte ich 60km geplant, da es mir nicht um Distanzen ging. Für den Anfang begnügte ich mich mit der Suche eines Lagerplatzes und so war dies das einzige Ziel meines ersten Tages. Die Anfahrt war lang gewesen, es würde bald dunkel und so konnte es nicht schaden bereits bekannte Stellen aufzusuchen. So stolperte ich den steilen Abhang hinter der Brücke hinab und hielt mich hart am steinigen Ufer des Baches. Die großen Steine waren nicht glatt, dafür gerne locker, so dass jeder Schritt wohl bedacht zu sein hatte. Das milchig blaue Wasser erinnerte mich auf kolossale Art an Pernod.


    An dieser Stelle war der Bach bereits sehr breit und so floss er weit weniger geräuschvoll und reißend denn oben in seinem Quellgebiet. Tatsächlich wurde er mit jedem Meter bergan wilder, da das Tal sich einschnürte und große Felsmassen, die dem Wasser seit Jahrtausenden widerstanden, seinen Lauf einengten. Zudem teilte er sich kurz vor der Brücke in einen zweiten Arm, der hart nach links abbog und den ich noch zu durchqueren hatte. Dieser Arm versickerte an einer weiter entfernten Stelle und kam erst Kilometer weiter bergab wieder zum Vorschein.
    Der Bewuchs des Tales war stets gleich, nie änderte sich etwas daran. Einige der Bäume kannte ich schon aus frühen Kindheitstagen, in denen ich mit meiner Schwester am Ufer des Baches im Matsch spielte. Hauptsächlich wuchsen verschiedenste Formen der Weiden, welche gerne im Gebirge heimisch sind. Nicht jene schnöden Sal-Weiden des Flachlands, sondern Exemplare wie die Purpur-Weide etwa. Hübsche Zeitgenossen, diese strauchigen Bäume.
    Natürlich drängten sich auch Unmengen von Latschenkiefern aneinander und übereinander. Ein wahrer Teppich aus Nadeln. Alle versuchten den Wandersmann mit ihren verschlungenen knorrigen Ästen zu greifen und wenn es ihnen gelang, dann zog man Schürfwunden davon. Aber auch Birken und Buchen wuschen im Tal, dort wo die kleinen Inseln vom Wasser lange Zeit nicht bewegt wurden. Allerdings entdeckte der aufmerksame Mensch auch Fremdlinge. So hatte sich etwa ein Fliederstrauch aus dem Garten des ehemaligen Hotels geflüchtet und war nun offenkundig im Bachbett glücklich geworden. Seine Töchter und Söhne ebenfalls.

    ---Kein Anschluss unter dieser Katze---

    Einmal editiert, zuletzt von Balam ()

  • (ein kleiner Auszug meines Fantasy-Projekts das nebenher läuft.)



    Nebel


    Schwer liegt der Nebel über dem Hafenbecken und taucht es in
    eine frostig bedrückende Stimmung, die jedem fühlendem
    Wesen das Herz im Leib erstarren lässt. Einige wenige tapfere
    Gestalten taumeln in der dämmrigen Düsternis des jungen
    Morgens umher und suchen in den Ecken der schmalen
    Quergassen, mit beiden Armen tief im Unrat steckend, nach
    ihrem bescheidenen Morgenmahl. Kaum einer der mehr findet
    als einen fauligen Fisch oder schimmelndes Brot. Die Not des
    verlorenen Kriegs lastet auf der Stadt und wer nicht längst die
    Flucht ergriff, ist nun im Begriff ebendies zu tun, solange noch
    einige wenige verwegene Kapitäne ihre Segel gen Norden
    setzen und solange das Wetter es zulässt. Herbst liegt auf der
    Welt. Nicht nur im buchstäblichen Sinne, sondern auch auf den
    Gemütern, den Seelen der Einwohner. Die Hoffnung ist dahin
    und sie wird auch nicht wiederkehren. Und als würde sie diese
    Trostlosigkeit teilen, liegt der große Schuner der Handelsflotte,
    die „Andar“, an ihrem Liegeplatz am Tau und singt traurig
    murrend knarrend ächzend ein Klagelied mit ihrer Takelung,
    während ihr gewaltiger schwarzer Leib aus Holz sich
    schwermütig in der sanften Dünung des Hafens hin und her
    wiegt. Ab und an krächzt eine heisere Küstenmöwe und
    versucht die Sonne herbeizurufen, doch es gelingt ihr nicht den
    dicken Novembernebel zu durchdringen. Auf dem Vordeck der
    „Andar“ blickt ein junger Mann in die Ferne der See, über die
    Bucht hinaus. Er sieht nicht viel, der Nebel belegt alles mit
    silberner schwarzgrauer Trübsal, zudem die Nacht nur
    widerwillig weichen möchte. Doch letztlich würde er auch bei
    helllichtem klarem Tage nicht viel erbauliches erblicken. Er sähe
    die Kommandantur, gleich nahebei der Hafenkaserne, die nun
    von Wurfgeschossen der Maschinen in Trümmern liegt. Er sähe
    einige wenige Handelshäuser und Magazine, in denen vormals
    Korn und Dörrfisch gelagert wurde. Nun, da die Not alle Vorräte
    aufzehrte, sind die Speicher geplündert und stehen verlassen.


    Er sähe eine trostlose Stadt, die sich mehr der See zuwendet,
    als dem Lande. Fast scheint es gütig vom Geist der Natur dieses
    Elend unter dem Mantel des dichten Dunstes zu verbergen. Er
    seufzt, wie zum Eingedenk dieses scheußlichen Elends, und
    wendet sich gen Hafenmauer, macht einige Schritte auf dem
    Deck um zur Schanzug zu gelangen. Seine Schritte klingen in
    der dämmrigen Morgenstimmung wie Hammerschläge auf dem
    Holz. Er trägt die üblichen Bordstiefel; schwere beschlagene
    Schuhe aus Rindsleder mit Sohlen aus Eichenholz. Seit Jahr und
    Tag tragen alle auf See diese Stiefel, denn sie geben Halt und
    greifen mit ihren Nagelköpfen ins Holz, so dass man nicht
    fortgespült wird. Die Mannschaften jedoch verfluchen diese
    Stiefel oft genug, trotzdem sie ihnen heimlich, still und leise
    stets das Leben retten; Denn unter Deck, wo die Kojen liegen,
    wo man dicht gepackt unter- und übereinander liegend Schlaf
    zu finden sucht, erschallt jeder Schritt hundertfach lauter. So
    versucht er denn, zart seine Schritte zu setzen und behutsam
    aufzutreten. Eine Windbö wirft seinen Regenumhang zur Seite.
    Der schwere Wollstoff wärmt gut und bewahrt vor der Feuchte
    des ausfallenden Nebels. Der Tau perlt an ihm einfach ab. Ein
    alter Mantel, sicherlich seit Generationen in der Familie.


    Vermutlich trug ihn schon der Großvater auf seiner ersten
    Überfahrt. Ein dunkelbraunes struppiges Etwas, mit zwei
    Knöpfen am Hals und einigen wenigen Kordeln, um ihn sich
    dicht an den Bauch zu binden. Darunter trägt er nicht mehr als
    die übliche Bordjacke und Bordhose. Ein wenig ansehnliches
    Geflecht aus Leinen, dass seinen Zweck leidlich erfüllt und im
    Wesentlichen die Blöße des Trägers bedeckt. Würde die
    geteerte Jacke nicht trefflich vor Wasser schützen und wäre sie
    nicht so steif wie der Panzer einer Krabbe, so würde sie wohl
    niemals auf See Verwendung gefunden haben. Doch die
    Seeleute vertrauten auf die Tradition und segneten ihr
    Handwerkszeug täglich. Bordmesser und Binderiemen, um sich
    an die Masten und Rahen zu binden gehörten ebenfalls zur
    guten Rüstung eines tapferen Seemanns dieser Tage. Der fahle
    Lichtschein der Laterne einer Gaststätte traf nun sein Gesicht
    und man sah das von Wind und Wetter zerfurchte Gesicht
    melancholisch dreinblickend die Augen gemächlich über die
    Hafenanlage schweifen lassen. Die Steine der Hafenmauern
    sind alt, sehr alt. Es wird behauptet sie seien einst nach Kaiser
    Herians Befehl aus den Südländern beschafft und von kundigen
    Maurern des alten Zeitalters gesetzt worden. Andere, meist
    betrunkene Seeleute, behaupten, der Hafen sei weitaus älter
    und stamme noch aus der Zeit der magischen Welt. Wem man
    auch glauben mag, der Hafen blickt auf Jahrhunderte zurück
    und dies ist ihm auch deutlich anzusehen. Hie und da klaffen
    Risse in der Mauer, groß genug ein Kind darin zu verstecken.


    Zwar wütete der Krieg vor der Stadt, doch das Beben der
    Rammen und Bersten der Mauern zermalmte letztlich auch
    dieses Bollwerk; einstmals geschaffen gegen die Gewalten der
    See, nun machtlos gegen die Gewalt der Menschheit. Dicke
    Schichten aus Algen und Tang bedecken die Hafenmauer.
    Niemand kam mehr auf den Gedanken diesen zu entfernen,
    einige waren bereits darauf ausgerutscht in den Zwischenraum
    zwischen Mauer und Schiff gestürzt. Zum Dank der Götter kam
    niemand zu Tode. Zum Vertäuen der Schiffe rammt man stets
    gewaltige Ulmenstämme in den harten felsigen Boden.
    Allerdings bestehen selbst diese mächtigen Bäume niemals
    länger als 60 Winter. Jede Generation der Hafenarbeiter hat
    einmal in ihrem Leben dieses Schauspiel erlebt, denn die
    Bohrmuscheln und Würmer in diesen Gewässern sind emsig. Mit
    einer der Gründe weshalb nur wenige Schiffe hier lange ankern.


    Die meisten Kapitäne lichten schleunigst und flüchten sich in
    die Sicherheit der offenen See. Schaurige Geschichten werden
    des Abends erzählt, wenn man einem Hafenarbeiter seinen
    Krug mit Gesöff füllt und ihn bittet vom letzten Bau der Anleger
    zu erzählen: „Da z‘rmalmt es den olden Göffel mi‘em Kopp un‘
    nem Arm, els dett Dingens nieder saust!“ und gleichwohl es
    schwer ist diesen tapferen Leuten zuzuhören und ihre Worte in
    sinnreiche Verbindung zu setzen, so schildern sie doch auf
    eindrückliche Art und Weise die erschütternden Tatsachen einer
    Arbeit auf die sie stolz sind; nötigenfalls durch bloße Gesten.


    Jede ihrer Narben erzählt ihre eigene Geschichte und keiner
    würde es abschlagen von ihr zu berichten, spräche man ihn nur
    freimütig darauf an. Es sind einzigartige Personen, frei von
    Angst und Zaudern, aber auch zutiefst gläubig und in ihrem
    Aberglauben noch wesentlich gefestigter. Wie in allen Häfen
    dieser Welt, stehen direkt an den Anlegern und Stegen, den
    Pollern und Planken die düstersten Spielunken, aber auch die
    noblen Gaststätten für Matrosen wie Offiziere. Nur wenige
    Schritt entfernt von ihren treuen Schiffen. Die einen sind kaum
    mehr als bessere Holzverschläge, durch deren Ritzen der eisige
    Herbstwind pfeift und jault; die anderen sind zumindest mit
    regelrechten Zimmern ausgestattet und werden nach
    Leibeskräften beheizt. In den wenigen Herbergen geht es
    gastlicher zu. Reisende kommen hier unter, so sie genug Silber
    haben dafür zu zahlen. Hier trifft sich aber auch die
    Schiffsführung zum Umtrunk, der Kapitän erzählt seinen
    Fachgenossen die neuesten Halbwahrheiten über die See und
    so mancher Diener oder Dienerin der Freude findet Platz an der
    Seite eines alten Seebäres, der nach verkündeter Heldentat auf
    sein Zimmer schreitet. Meist nicht allein. Auf all das blickt er,
    der einsame Matrose der unter dem Schunermast steht, sich
    mit dem Ärmel seiner Bordjacke den ausfallenden Nebel aus
    dem Gesicht wischt und ein, wie das andere Mal, bedächtig
    mahnend seufzt. Behäbig kriecht die Helligkeit aus dem Osten
    heran und die Sonne meldet ihren Besitzanspruch auf den
    Himmel erneut an. Wie jeder tüchtige Seemann vermag auch er
    an der Brise und den zunehmenden Schlägen der Wellen zu
    erkennen, dass ein neuer Tag anbricht und die Sonne kurz vor
    dem Aufgang steht. Also packt er sich und schüttelt sich kurz,
    um seine müden Glieder aus der Starre zu befreien. Ein Gähnen
    entfleucht ihm daraufhin, was ihn dazu nötigt sich
    umzuschauen ob niemand ihn beobachtet. Keiner solle
    behaupten können er habe auf Wache geschlafen. Kaum ist der
    erste Schimmer der Himmelsscheibe zu erkennen, schreitet er
    vorsichtig aber bestimmt, um möglichst wenig Lärm zu machen,
    auf den Niedergang zu. Dort erwartet ihn bereits ein
    verschlafen aussehender Kerl, der sich mühevoll in seine Jacke
    quält. Wortlos und mit jeweils einem Nicken übergibt man die
    Wache des Morgens dem Verschlafenen und der tapferer
    Nachtwächter wankt behutsam die knarrende Treppe hinab
    unter Deck. Die „Andar“ ist einer jener typischen Küstenschuner
    der Handelsflotte, mit ihren zwei Masten und dem bauchigen
    Rumpf. Wie bei allen Schiffen jener Bauart ist der achtere Mast
    der höhere von beiden. Die Eigner sehen es nicht gern, aber
    meist fahren die Kapitäne ihre Schiffe härter am Wind und unter
    mehr Segeln als für die Maste gut wäre. Auch bei der alten
    „Andar“ sind deshalb erste Risse am Groß- und Schunermast zu
    sehen. Der Fockmast hingegen wurde erst jüngst ersetzt, weil
    ein übermütiger Jungkapitän meinte er könne den Kurs der
    „Andar“ queren. Dabei besaß die „Andar“ jeher den Ruf eines
    der schnellsten Schiffe der Ostküste zu sein. Unter vollen
    Segeln, mit Außen-, Innenklüver und Fock, Schunersegel,
    Großsegel und Gaffeltoppsegel erreichte sie bei günstigem
    Wind leicht siebzehn Messruten vor der Strömung.
    Die Überfahrt auf dem Handelsweg nach Falknir schaffte sie als
    einziges Schiff in nur vier Tagen.


    *


    Ein gurgelndes Grunzen, gefolgt von einigen inbrünstigen
    Seufzern und schlürfendem Pfeifen drang aus der dunklen Ecke
    des Gemaches. Jedweder der nicht bereits die Nacht hier
    verbracht hätte, wäre voller Furcht aus dem Zimmer gestoben
    und hätte die Wachen von einem Ungeheuer in Kenntnis
    gesetzt, dass in der Gaststube „Zum Schwertfisch“ sein
    Unwesen triebe. Wahrhaftig bezeichneten einige den
    Verursache jener Töne als Ungeheuer, aber zu Unrecht, denn es
    war niemand Geringeres als der bekannte Abenteurer und
    Entdecker Skal, der seinem wohligen Schlaf auf diese Art und
    Weise seiner Mitwelt kundtat. Er war am Tag zuvor in jener
    Schenke abgestiegen um sich aus den elendigen Kriegswirren
    zu befreien, mit denen er ohnehin nichts am Hut haben wollte.


    Hätte er geahnt wie schnell die Truppen des hohen Hauses an
    Boden verlieren, wäre er sicherlich niemals zur Küste gereist.
    Leider war die Reise per Handelsschiff die zugleich schleunigste
    als auch günstigste Möglichkeit in den Norden. In Anbetracht
    des Krieges war es ohnehin verwunderlich, dass die
    Stadtwächter Ordnung hielten und es überhaupt gesittet
    zuging. Tatsächlich scheinen diese armseligen Bewohner an ihr
    Los gewöhnt und ertrugen die Wechsel der Herrschaft mit
    stoischer Gleichgültigkeit. Zumindest gelangte man zu diesem
    Schluss, lässt man sich von einem Handelsvertreter einen
    Fahrtschein ausstellen, welcher mit größter Versicherung und
    höchster Garantie einen Platz auf der „Andar“ gewährt.
    Gleichwohl dies bedeutet tüchtig mit anzupacken, denn der
    geringe Preis von lediglich fünf Silbernen wird durch Muskelkraft
    vergütet. Kraft die Skal keineswegs fehlte, er als erfahrener
    Seemann, dessen früheste Jugend geprägt wurde von
    Piratenangriffen und Stürmen auf hoher See, Schiffbruch und
    Hungersnot im Beiboot, scheute keine seemännische Tätigkeit.
    Viele bezeichneten ihn als „Seehund“ im derbsten Sinne des
    Wortes, doch lag immer eine Portion Spott darin. Entsprach er
    doch nicht dem, was die Menschen des Ostens gemeinhin als
    „üblich“ betrachteten. Seine Erscheinung war imposant und
    durchweg eindrücklich, und in Hafenstädten ist man
    insbesondere an exotische Besucher ferner Länder gewohnt,
    doch Skal bekleidete eine Rolle derer er sich oft liebend gern
    entledigt hätte. Sein Helden- oder Beinahme war „der
    Wölfische“, was manche als lyrisch verklärten Versuch
    auffassten seine raue Natur zu umschreiben. In Wirklichkeit
    jedoch beschrieb dies seine wahrhafte Äußerlichkeit, im
    buchstäblichem Sinne. Hingegen vieler Gerüchte war er
    keineswegs der Sohn einer Wölfin, die sich mit einem Magier
    vereinte; er war einstmals ein stattlicher Mensch von adliger
    Herkunft. Die Erzählungen um die Wahrheit seiner Verwandlung
    sind mysteriös und meist entsprechen sie nicht der Wahrheit. Er
    vermeidet es darüber zu berichten. Einige wenige Chronisten,
    darunter Wulfenbein, haben jedoch einige Passagen
    niedergeschrieben, die von seinem Lebensweg Kunde tun.
    Wahrhaftig war er einst der Sohn eines Fürsten, allerdings eines
    jener Fürsten die selbst unter dem niederem Adel keine
    Wertschätzung genießen. Herrn über Schweinehirten und
    Gänsezüchter, Besitzer von Sumpfland und verdorrten Ackern,
    Lehnsherrn einer Armee von Trunkenbolden und Mördern. Seine
    Abstammung gereichte ihm keineswegs zu Ruhm und Ehre.


    Jedoch, je widerwärtiger das Dünken einer Sippe, desto edler
    fallen zuweilen die Früchte derselben aus. Er war bereits als
    Kind ein gütiger und liebevoller Junge, voller Neugierde und
    Tatendrang. Mit den Jahren, die er heranwuchs wurde er für
    seine Stiefbrüder immerzu gefährlicher, war es doch er, der als
    Erstgeborener bald den Thron würde besteigen können und es
    war der Gesinnung des Jungen zu entnehmen, dass er all die
    hübschen Reichtümer und Besitzungen, all das unrechtmäßig
    angeeignete Gut, ihren rechtmäßigen Besitzern zurückgeben
    würde; ganz gleich ob das Fürstentum danach bettelarm sei.


    So schmiedete man mit viel List eine Intrige, die den Fürstensohn
    in einen Wolfsmensch verwandelte, erreicht mittels eines
    Trankes und der Schwäche, wie sie nur die Liebe einem Mann
    zufügen kann. Gebunden und eingesperrt fristete daraufhin Skal
    sein Dasein als Attraktion reisender Gaukler und wurde vom
    Volk jedes Landstrichs verhöhnt. Erst das Herz eines alten
    Seemannes erweichte sich und er befreite den Verzweifelten
    aus seiner Lage, pflegte ihn, gab ihm Obdach und vererbte ihm
    letztlich all seine Habe. So fügte sich Skal seinem Schicksal,
    ohne zu vergessen, doch auch ohne länger dem Wunsch nach
    Rache zu frönen. In treuer Gefolgschaft seines Kumpanen, der
    ihm sein Leben verdankt, bereist er nun die Welt, um
    denjenigen Hilfe zu spenden, die sie, wie er dereinst, dringlichst
    benötigen. Dieser Held aller Länder, der Zögling des
    Abenteuers, der durch sein bloßes Äußeres Menschen zu Tode
    erschreckt, jener Skal der Wölfische schlief selig im Bett der
    Herberge, die gleichauf der „Andar“ an der Hafenmauer lag.


    Er hatte nunmehr die Augen geöffnet und blinzelte in die
    Dunkelheit. Das erwachende Licht der Sonne drang nur spärlich
    durch die mit Lappen verhangene Luke, die der Herberge als
    Fenster dienten. Zumeist verkleideten die Bauherrn ihre
    Öffnungen zumindest mit der Haut einer getrockneten
    Schweins- oder Rinderblase, doch dies war keineswegs übliches
    Mittel den Wind nach draußen zu sperren. Weitaus üblicher
    waren jene stinkenden alten Lappen, die tagsüber aus dem
    Fensterloch gehangen wurden, um zu lüften. Ein leiser Luftzug
    bewegte die Zipfel der Lappen und ließ sie tanzen. Skal
    beobachtete die schwirrenden Schatten des Zwielichts an der
    Wand und stöhnte. Ein Gedanke schoss durch seinen Kopf, der
    sich vornehmlich um eine heiße Tasse Tee und Brot drehte,
    allerdings auch von Einsamkeit und Sehnsucht handelte,
    obwohl er diesen Teil des Gedankens schnell mittels des
    Seufzers in die Unkenntlichkeit verbannte. Mit einem Ruck
    schwang der sich empor und saß aufrecht im Bett.


    Ihm war nicht bewusst gewesen wie schäbig das Zimmer in Angesicht
    der Sonne aussah, als er gestern spät in der Nacht den Wirt um
    eines seiner sauberen Zimmer bat, um hier halbtot vor
    Müdigkeit in einen traumlosen Schlummer zu sinken. An der
    Wand prangte ein uralter Teppich, dessen angedachte Pflicht es
    zu sein schien ein faustgroßes Loch in der Wand zu verdecken
    und die Kälte davon abzuhalten in das Innere des Raumes zu
    kriechen; eine Pflicht die derselbe nur schwerlich hinlänglich zu
    erfüllen vermochte. In seinem Muster war offenbar eine
    Szenerie eines berühmten örtlichen Helden und dessen
    Kampfes dargestellt, jedoch in einer derart schauerlichen Art
    und ohne jeden Sinn für Ästhetik, dass es längere Zeit bedurfte
    bis Skal zu begreifen vermochte was dort abgebildet war.


    Nachdem er einige Zeit mit schiefem Kopf und
    zusammengekniffenen Augen vor dem seltsamen Utensil saß
    und die Umrisse in der trüben morgendlichen Dunkelheit zu
    erkennen versuchte, dämmerte ihm dass es eine Szene eines
    Turniers zu seien schien. Ein wirklich imposant korpulenter
    Ritter stand, mit einem Bein auf dem Kopf eines Gefallenen
    Feindes, breitbeinig in seitlicher Abwehrhaltung, die gebrochene
    Lanze eines Gefolgsmannes in Händen, und suchte auf diese
    Weise einem gewaltigen Schlag eines Trolls, oder eines
    zumindest ähnlich großen unförmigen Ungeheuers,
    abzuwehren. Gleichwohl wie eindeutig dies nun klingen mag,
    bestand in Wahrheit jene Szene aus einer rundlichen silbernen
    Kugel, gewoben aus groben Leinenfasern und Pferdehaar, die
    einer anderen Kugel aus schwarzem Pferdehaar gegenüber
    stand und ein längliches braungraues Etwas zwischen sich hielt.


    Skal schüttelte lächelnd den Kopf und wischte sich den Schlaf
    aus den Augen. Nicht dass er je mit der Kunst geschäkert hätte,
    dafür stand ihm der Sinn viel zu sehr nach handfester Arbeit
    und dem satten Gefühl eines mit Leder umwickelten
    Schwertgriffs in der Hand, doch eine gewisse Vorliebe für die
    erzählerische Bildkunst lag ihm nun doch inne. Hier blitzte wohl
    der verbliebene Dünkel des Adeligen hervor, dessen Bildung im
    Kindsalter Spuren der Kultur hinterließ, die jedem Abenteuer
    sonst abträglich wären. Skal hingegen genoss diesen
    Wissensschatz und setzte ihn lohnbringend ein. Mit einer
    schwungvollen Drehung beförderte er seine langen behaarten
    Beine aus der Bettmulde, die mehr wie eine Hängematte oder
    eine Koje auf See geformt war und streckte sich auf der
    Bettkante sitzend lang aus. Das eindrückliche Knacken seiner
    Wirbel verriet ihm, dass jenes Bett keineswegs die
    Bequemlichkeit einer echten Koje bot. In seinem Fell wuselten
    die Bettwanzen aufgeregt hin und her und verschwanden sofort
    in der aus Stroh gestopften Matratze. Davon wenig gerührt
    suchte Skal nach seinem Beinkleid und den Schuhen.


    Im müden Wahn hatte er sie unter die Schlafbank nahe des Fensterlochs
    geschleudert. Während er da so stand und halb bekleidet
    schlaftrunken durch die Löcher der Lappen nach draußen
    schaute, sah er die „Andar“ im sich hebenden Morgendunst vor
    sich liegen und ein wohliger Schauer lief ihm über den Rücken.
    „Oh ihr Wogen“, raunte er zu sich selbst und lächelte, als er die
    ersten Worte eines alten Liedes der Seefahrer aussprach.


    Oh ihr Wogen
    Dient dem Meer
    Geht hin geht her
    Fern des Heims
    Kein Glücke mehr
    Keins
    Habt gelogen
    Oh ihr Wogen
    Oh ihr Wogen
    Liebe mein
    Tanz lasst sein
    In der Ferne
    Tragt tot Gebein
    Gerne
    Wurdet betrogen
    Oh ihr Wogen


    Ursprung des Textes ist nicht bekannt, doch wird er von einer
    Generation an die nächste der Seeleute weitergereicht und
    mahnt so die jungen unerfahrenen Draufgänger, die glauben
    die See zu beherrschen, niemals dem Hochmut zu verfallen. Im
    Schritte eines Trauermarsches vorgetragen dient dies Lied auch
    bei einem Begräbnis eines Seemanns als schauerliche Untermalung.


    Wie oft stand Skal schon vor der Planke, die ihn
    auf das Deck eines Schiffes führen sollte und wie oft hatte er
    eben jenes zwiespältige Gefühl im Herzen, welches sowohl
    Tatandrang, als auch Demut und Furcht ausmacht. Ein Gefühl
    der Zerrissenheit, wenn dem tapferen Seemann bewusst wird,
    dass er sich der See überantworten muss. Er gibt sich hin, mit
    all seinem Wissen und seiner Körperkraft, in der guten Hoffnung
    die Wogen mögen seiner Seele gnädig sein und ihn nicht
    verschlingen. Der Gedanke an die traute Heimat, das wohlige
    Feuer im Kamin, der Frieden und die grünen Auen; sie lassen
    den nagenden Zweifel erstarken und versuchen den Absatz des
    Schuhs umzukehren, wieder zurück in die Heimat zu lenken.


    Gleichauf ist der Drang der See, der Mut des Tapferen, da
    schwelt sie, die Abenteuerlust, die Lust auf den Schmerz und
    die Pein der harten Arbeit auf Deck. Der Duft des Wasser und
    des Teers, der modrige Gestank der alten Planken und der
    Reepen, der jeden anderen abstoßen würde, zieht in die Ferne
    hinaus. Die Welt erblicken, Meerwasser schmecken, fremde
    Lüfte atmen, eine Wonne für den lustigen Seemann. Da erbebt
    der Körper und zucken die Muskeln, da frohlockt der Leib und
    will hinaus, sich beweisen. „Ja“, bricht es aus Skal hervor. „Ja,
    zur See!“ ruft er für sich allein im Zimmer stehend und wendet
    sich hastig dem Packen seines Seesacks zu.

    ---Kein Anschluss unter dieser Katze---

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