Schein Dasein. Ein Leben mit Maske.

  • Kennt ihr das auch? Mein Leben scheint recht normal, mal sieht mir meine " Andersartigkeit" ja nicht an. Alles läuft in geregelten Bahnen. Ordentlich jeden Tag um 6 Uhr aufstehen und seine Arbeit verrichten.
    Diese Maske zu tragen im Alltag sicher sehr nützlich und auch angebracht. Manche Leute haben die Empathie ja nicht eben mit Suppenkellen konsumiert. Aber umgekehrt trennt sie mich auch irgendwie von meiner Umwelt und von meinen Sozialkontakten. Die Aufrechterhaltung von genau diesem Schein-Dasein ist furchtbar anstrengend und fordert mir enorm viel ab. Mich zu öffnen, ist schwierig und ein langer Prozess, genauso wie Vertrauen aufbauen. In letzter Zeit mache ich mir oft Gedanken darüber , wie lange mein Kartenhaus wohl noch hält. Ich bin quasi nur einen Windhauch davon entfernt, dass alles zusammenbricht und dann auffliegt. Ja, ich habe Angst ich könnte auffliegen und für alle erscheinen plötzlich meine ganzen ...hmm, Mängel? Bin ich ein Mängelexemplar? Und vom Umtausch ausgeschlossen? UUPPSS Nun werden die Gedanken wieder ziemlich düster.

    Schwarzmalen is toll...wenn man Gold draufklatscht.

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  • Kennt ihr das auch?

    Oh ja, von früher, sehr gut.
    Vermutlich hat damit jeder so eine Erfahrungen gemacht.


    Es gilt ja als verpönt seine Emotionen zu zeigen, zumindest die welche nicht gesellschaftlich akzeptiert sind, je nach Umfeld. Also Traurigkeit und Tränen zählen definitiv zu den Dingen die verschmäht werden, ganz besonders bei Männern. Und wer nicht "funktioniert" gilt ja als schwach und nicht leistungsfähig. Dass das absoluter Humbug ist sagt einem eigentlich jeder, insbesondere wenn er Zuhause vor der Tastatur sitzt, aber im realen Leben würden sie trotzdem die Verkäuferin die in Tränen ausbricht oder den Lehrling bei der Flaschenannahme in den Arm nehmen wollen... diese Distanz ist zwar 'nur' anerzogen, aber dafür sehr konsequent umgesetzt.


    Ich hatte das lange Zeit.
    Gerade beim Militär scheißt sich jeder ein wenn man als Kerl ne Träne im Auge hat oder man von seiner Trauer erzählt. Aber 'draußen' ist es genauso beschissen. Diese Maske wird also quasi verlangt. Richtig schlimm ist es wenn man dann auch noch bisexuell ist und mit einem gleichgeschlechtlichen Partner lebt. Bevor ich das offen gelebt habe war es ein Zweitleben, damit man keine Nachteile hat. Letztlich half es nur die Masken fallen zu lassen und man selbst zu sein - gleichgültig was man damit vermeintlich verliert. Das kostete mir dann Ausbildungsberuf, Karriere, Freunde, Verwandte und ungefähr 300 Stunden Tränen... letztlich aber lohnender, wie ich finde, als sich tagtäglich mit etwas zu belasten, was man nicht braucht.


    Vermutlich muss jeder selbst wissen ob er den Befreiungsschlag wagt oder nicht, ob er vielleicht andere Strategien findet oder nicht. Aber diese Maske der Depression, des "normal" seins, des Angepasstem und des Funktionierendem kenne ich sehr gut.

    ---Kein Anschluss unter dieser Katze---

  • @Nahuatl

    Vielen Dank für deine Worte





    diese Distanz ist zwar 'nur' anerzogen, aber dafür sehr konsequent umgesetzt.

    Ja, ich erschrecke manchmal, wie sehr ich mich verstellen kann. Und wenn ich es nicht mehr kann, ziehe ich mich zurück.



    Vermutlich muss jeder selbst wissen ob er den Befreiungsschlag wagt oder nicht,

    Befreiungsschlag klingt gut. Aber im Moment siegt noch die Angst. Diese Maske hält mich ironischer Weise auch irgendwie aufrecht. Ich hätte Lust komplett neu zu starten.

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  • Womit hat hat meigentlich zu rechnen, wenn man sich preisgibt? Ich glaub da schwirrt ein riesengroßes, angstmachendes Phantom in meinem Kopf.
    Die Angst ALLES zu verlieren wenn man Schwäche eingesteht.

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  • Scheiße ist das mit der Maske. Ich hab ja schon selber keine Ahnung mehr, wer ich eigentlich bin.

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  • signtime: Womit zu rechnen ist?


    Zu rechnen ist damit, dass sich der ein oder andere in unserem Umfeld vor den Kopf gestossen fühlt. Der ein oder andere wird verwundert sein, weil wir so anders sind, wie wir es bisher waren. Der ein oder andere wird sich abwenden.


    Aber nur so, finden wir zu uns. Können wir endlich wir sein, können wir frei sein. Unser leiden nimmt ab und wir werden frei. Ruhiger, zufriedener und irgendwie glücklicher. Bei mir ist es so gewesen und ist es so.


    Aber: Die die sich abwenden, sind auch für unsere Gegenwart und Zukunft nicht die richtigen an unsere Seite. Es ging ihnen ja nicht um uns sondern um die Person die die Maske darstellte. Dafür kommen neue Menschen, wertvolle Menschen hinzu. Lieber wenige und gute, auch in schweren und schlechten Zeiten, als viele, die nur da sind, wenn es passt. Auch Familie verliert man. Aber was soll's. Nur weil man das Blut teilt, braucht man sich nicht quälen.


    Die die es ernst mit uns meinen, werden uns verstehen. Sie werden uns unseren Freiraum geben. Die Freiheit geben, wir selbst zu sein. Sie werden es verstehen, dass wir auch einmal Grenzen aufzeigen.


    Das zu wissen, sich dann dafür, für diesen Schritt zu entscheiden, ist schwer. Ein großer Schritt und der erste Schritt fällt schwer. Er lohnt sich. Ich weiß es. Habe letztes Jahr meinen Job gekündigt, mit einem Teil meiner Familie und Freunde den Kontakt abgebrochen und habe dieses Jahr auch meine Wohnung gekündigt. Alles sehr, für den ein oder anderen zu radikal. Aber, es geht mir gut damit. Ziemlich gut damit und es war alles nicht so schlimm und schwer wie zunächst gedacht ich bin so unendlich frei. Zufrieden und ruhig geworden. Die wenigen Rückschläge und gelegentlicher Stillstand, gehört dazu und ich komme damit auch sehr gut zurecht.


    Es ist es Wert. Nicht einfach, aber es steht es Wert.

    Die höchste Form der Hoffnung,
    ist die überwundene Verzweiflung.


    - Albert Camus -

  • war alles nicht so schlimm und schwer wie zunächst gedacht ich bin so unendlich frei. Zufrieden und ruhig geworden.

    Das freut mich sehr für Dich.
    Dein Text motiviert mich auf jeden Fall darüber nachzudenken. Ich kenne mich vor lauter..so sein,wie andere es gerne hätten, oft selbst nicht wieder.



    Befreiungsschlag

    Der Befreiungsschlag , wie Nahuatl es geschrieben hat. Ich finde das Wort äußerst ermutigend und hab da schon allerhand Fantasien im Kopf, wie es wohl wäre, wenn...

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  • signtime: Frag dich doch einfach einmal, wieviel unglücklicher und trauriger Du nach einem "Rundumschlag" noch werden könntest!?


    Im besten Fall hilft er und es wird besser. Und wenn es dadurch "noch" schlimmer wird als jetzt, naja, dann hättest Du ja immer noch einen anderen Weg / Ausweg, den Du ja jetzt auch schon als einzigen Weg siehst.


    Es gibt immer einen oder mehrere andere Wege und Frag Dich einfach, was wenn es dadurch zumindest nicht schlimmer wird und im besten Fall sogar noch besser....

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    ist die überwundene Verzweiflung.


    - Albert Camus -

  • Oft müssen wir eben das vertraute, egal wie gut oder schlecht es war und egal wie schwer es uns fällt, aufgeben, um dann eben das zu bekommen, was uns glücklich macht. Was besser zu uns passt und / oder eben etwas in uns macht. Das endlich unsere Suche beendet, unsere Sehnsucht stillt oder uns einfach nur ankommen und zur Ruhe kommen lässt

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    ist die überwundene Verzweiflung.


    - Albert Camus -

  • Frag dich doch einfach einmal, wieviel unglücklicher und trauriger Du nach einem "Rundumschlag" noch werden könntest!?

    Ja, ich frage mich seit Tagen nichts anderes.
    Es ist ein emotionales hin und her gezerre von Untergang und Auftrieb.
    Ich denke zeitweise , es wird nun wirklich Zeit mich zu outen und im nächsten Moment schon, isses weg.
    Ich mir mir darüber bewusst, dass es endlich Zeit wird, zu mir selbst zu stehen.
    Aber die Angst vor Ablehnung is grad enorm und ich spekuliere darauf, dass der Druck bald so groß wird und mir keine Wahl mehr lässt.
    Im Grunde weiß ich ja schon, was ich zu tun habe.

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  • signtime: Wer bleibt ist wahr, nah und der / die richtige für die Zukunft. Wer geht, war nie wahr und nah und somit auch besser Vergangenheit.


    Irgendwer lehnt einen immer ab und irgendwer nimmt einen auch immer an. Wir können, sollten und müssen es nur einem Recht machen und nur einer muß uns annehmen: Wir selbst.


    Wie sollten wir glauben und spüren, dass uns jemand liebt und annimmt, wenn wir es selbst nicht tun?!

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    - Albert Camus -

  • signtime: Besser allein als mit den falschen.


    Und wenn keiner bleibt, was unwahrscheinlich ist, kommen neue dazu. Das aber neue dazu kommen, wird durch das hier, heute und jetzt, verhindert.


    Lieber alleine glücklich, als mit den falschen unglücklich. Vor allem in Gesellschaft der falschen, fühlen wir uns doch am meisten einsam.


    Aber deine Angst kenne ich. Glaub mir einfach, Du wirst Dich verändern und dadurch ganz andere Menschen als bisher kennen lernen. Wenn es dunkel um uns herum ist, wenn wir keinen Weg mehr sehen, würden wir auch dem Teufel in Person vertrauen, nur um nicht einsam zu sein. Denn gerade diese Menschen flüstern uns genau das ins Ohr, nachdem wir uns sehnen.

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    ist die überwundene Verzweiflung.


    - Albert Camus -

  • wenn wir keinen Weg mehr sehen, würden wir auch dem Teufel in Person vertrauen, nur um nicht einsam zu sein. Denn gerade diese Menschen flüstern uns genau das ins Ohr, nachdem wir uns sehnen.


    Ja, dem ist wohl so.

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  • Ich kenne mich vor lauter..so sein,wie andere es gerne hätten, oft selbst nicht wieder.

    Das kenne ich leider auch viel zu gut. Ich hab den Großteil meines Lebens für andere gelebt und nicht für mich selbst. Das hat sich so weit ausgebreitet, dass ich sogar wirklich Schwierigkeiten damit habe, mich selbst zu definieren. Ich kenn mich quasi selbst kaum, weil ich immer damit beschäftigt war die Erwartungen von irgendwelchen Menschen in meinem Leben zu erfüllen. Das Ganze ist mir jetzt die letzten 1,5 Jahre massiv auf die Füße gefallen. Und jetzt irre ich in den Trümmern herum und versuch irgendwie aus dem was übrig ist ein neues Selbstbild aufzubauen, dass nicht von den Ansprüchen Dritter dominiert, sondern mir selbst gerecht wird.


    Die Maske ist mir auch sehr vertraut. Selbst meine Therapeutin fiel anfangs darauf herein und war verblüfft, wie groß die Diskrepanz aus dem Außen und dem Innen ist. Sturer Selbstschutz, ein nackter Kampf ums Überleben. Bloß keine Schwäche zeigen. Was passiert wenn die Maske fällt und man das sieht, was dahinter liegt? Nun... ich für meinen Teil befürchte, dass man dann der Stigmatisierung als "krank" ausgesetzt ist. Viele Menschen haben ein Denken aus dem Mittelalter was psychische Krankheiten angeht und leben dieses sehr offen und feindseelig aus. Ich für meinen Teil habe die meiste Angst vor Mitleid. Das macht mich rasend. Ich hab eine Menge Scheiße durch und weiß Gott genug Macken und Probleme. Aber Mitleid will ich keines. Ganz im Gegenteil, ich würde gerne mal sehen, was mit vielen dieser Menschen, die sich über psychisch kranke auf ein Podest erheben und mitleidig den Kopf schütteln, passieren würde, wenn sie den ganzen Scheiß durchstehen hätten müssen, den manch einer hier im Forum oder draußen in der Welt erleben musste. Wie viele von diesen "perfekten Gutmenschen" hätten längst aufgegeben, weil es ihnen zu viel gewesen wäre und wären nun gar nicht mehr hier?


    Ja, ich hab meine Probleme und Makel - beides mehr als mir lieb sein kann. Aber ich bin noch da! Ich hab überlebt! Mich nicht klein kriegen lassen, mich nicht gebeugt. Und darauf bin ich ein stückweit auch stolz. Es war nie leicht, es wird nie leicht sein... aber es ist zu schaffen.


    Zwischenzeitlich habe ich auch gelernt offener mit mir selbst umzugehen. Und der Weg da hin war extrem lang und hart. Ich versuche nicht mehr um jeden Preis, meine Depressionen usw. zu verheimlichen und mir nichts anmerken zu lassen. Oft sogar drehe ich den Spieß um und bringe es offen zur Sprache. Es ist eine Krankheit, ja. Aber ich hab sie mir weder ausgesucht noch muss ich mich dafür schämen. Und bevor ich Leute in mein Leben lasse und sie über Monate und Jahre eigentlich nie mich sondern nur die Maske kennenlernen und erleben, zeige ich ihnen mittlerweile sogar lieber direkt die "unschöne Wahrheit". Wenn sie engstirnig sind, schreckt es sie ab. Und ich kann mir die Mühe sparen diese Menschen kennen zu lernen und vielleicht sogar Vertrauen aufzubauen. Wenn sie was taugen, dann versuchen sie es zu verstehen oder zumindest zu akzeptieren und mich nicht auf eine Krankheit und meine "Mängel" zu reduzieren. Und dann hat man eine gute Basis gefunden, auf der man weiter aufbauen kann. Generell habe ich aber auch aufgegeben auf Teufel komm raus sozial sein zu wollen / müssen. Nicht jeder braucht das und nicht jeder ist dafür geschaffen stets und ständig von Menschen umringt zu sein. Und ich finde meinen Seelenfrieden einfach eher, wenn ich für mich bin. Ich lasse Leute in mein Leben soweit es mir möglich ist und mich nicht überfordert oder schädigt. Aber ich erzwinge nichts mehr.

    It's rather easy to shine in the light. But to glow in the dark - that's mastery!

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