Heute sind es 1000 Tage her, dass du nicht mehr hier bist. Gestorben. Selbst bestimmt. Und so wie du es erwartet hast. Unendlich tapfer. Und bis zum Ende hast du dich nicht verbiegen lassen. Das Schicksal hat dich beklaut. Um ein Leben, nicht um Jahre, sondern um Jahrzehnte.
Es war eigentlich immer klar, so lange wir uns hatten: Ich würde mal deutlich vor dir gehen. Das Risiko, dieselbe Krankheit wie meine Mutter zu bekommen, ist stark erhöht bei mir. Oft saßen wir da...und haben überlegt, wie das dann für dich wird, wenn ich mal nicht mehr da bin. Und dann kam das Schicksal und hat all die Karten, die doch so sicher auf dem Tisch lagen, weg gewischt. Und das Blatt, das uns dann gegeben wurde, war ganz schlecht.
Das Schicksal hat die Reihenfolge durcheinander gebracht. Unverzeihlich und niemals zu vergessen.
365 Tage sollte ich durch halten, hast du gesagt. Geschrieben. Das erste Jahr ohne dich. Und dann entscheiden. Frei und für mich. Weil du nicht wolltest, dass dein Vermächtnis mein Leben bestimmt. Nun sind es schon 1000. Und es fühlt sich schrecklich an. Objektiv ist es nur eine runde Zahl. Natürlich vermisste ich dich vor drei Tagen genauso wie heute, Da waren es 997. Und ich werde dich auch weiterhin vermissen, an jedem Tag, so lange ich noch existiere und atme. Dennoch sind die 1000 gefühlt eine Zäsur. Vierstellig ohne dich.
1000 Mal ging die Sonne auf und wieder unter. Ohne dich. Alles drehte sich weiter. Nichts anderes war zu erwarten, aber es kommt mir trotzdem so falsch vor. Wie sehr ich dich vermisse, an jedem Tag, können Worte nicht wirklich wieder geben. Mit dir war das Leben in bunten Farben mit dem besten Sound. Und jetzt, seit 1000 Tagen, lebe ich schwarz-weiß. Und der Sound ist alt und hat oft Aussetzer.
Was würdest du wohl sagen, könntest du mich jetzt sehen? Ich bin die, die die Tage überlebt, hinter sich bringt und wie ein Hamster im Laufrad doch nicht wirklich vom Fleck kommt.
Was würdest du sagen, dass ich jetzt eine Frau liebe, mit ihr eine Beziehung führe? Dass sie mich aufgerissen hat in einem Club, als es die noch gab. Ich glaube, speziell das Letzte hätte dir gefallen. Du hättest dir alles angehört, dann hättest du mir die Arme auf die Schultern gelegt und gesagt: „Sweety, dann mach das mal, wenn die dir gut tut!“
Ich glaube, ihr hättet euch verstanden. Sie ist unglaublich, auch wenn sie den großen Fehler macht, ihre Zeit, ihre Liebe und all das an mich zu verschwenden, die gar nicht in der Lage ist, da angemessen zu reagieren.
Was würdest du sagen über die Zeit, in der wir leben müssen? Ohne Freude. Man darf arbeiten. Und hirnlos spazieren gehen oder joggen. Jeden Grashalm mit Vornamen kennen, während man nebenbei immer mehr verblödet und verkümmert. Mit dir wäre es anders gewesen. Nicht die Sache an sich. Aber mit dir wäre nie das Gefühl tiefer Verzweiflung aufgekommen. Denn hey, wir beide haben doch immer alles zusammen geschafft, oder? Kein hirnloser lockdown der Welt hätte mich ins Mark treffen können, wenn du noch bei mir wärst.
1000 Tage. Und mir ist, als würde ich in einem reißenden Fluss schwimmen. Aber eigentlich ist es eher ein „Sich-Über-Wasser“-Halten. Denn eine Schwimmerin bestimmt eigenständig den Kurs. Schwimmt in die Richtung, die sie möchte. Ich dagegen werde mitgerissen von allem, was der Alltag bringt. Jeder Tag, den ich existiere und rum bekomme, bringt mich ein Stück weiter weg von dir. Die Erinnerung verblasst nicht, aber sie ändert sich, und das Teuflische ist, man merkt es selbst nicht einmal. Die Zeit kann gar nichts heilen. Sie ist ein Messer, das jede Wunde offen hält. Es kann gar nicht besser werden. Das könnte es nur, wenn du wieder zurück kommen würdest. Das ist nicht möglich. Ich weiß es, auch wenn ich oft anderes träume. Und die Angst vor der verfälschten Erinnerung an dich, dass das, was so klar war und hoffentlich noch ist, irgendwann trüb wird, ist groß. Ich sitze in einem ICE, der ständig in die falsche Richtung fährt. Und der an keinem Bahnhof zum Halten kommt.
1000 Tage ohne dich. Schrecklich. Ich schäme mich. Und ich liebe dich und vermisse dich unendlich und werde das immer tun.
Es tut weh.
Deine T.