Morgen sind es 800 Tage her, dass du diese Welt verlassen hast.
800 lange Tage. Und irgendwann werden es tausend sein. Abartig hohe Zahlen, die eine Distanz ausdrücken, die sich niemals einstellen wird.
800 Tage ohne deine Freundschaft, ohne deinen Rat, ohne dein Lachen, deine genialen Ideen, deine Stärke, ohne das Gefühl, dass, was immer auch im Alltag passieren mag, du da bist und hinter mir stehst.
800 Tage ohne Sicherheit. Ohne die Person, die so selbstverständlich zu mir gehört hat. Die ich geliebt habe und meine beste Freundin war...mehr als zwanzig Jahre meines Lebens.
800 Tage, in denen ich nichts mehr fragen konnte. So vieles hat sich geändert. So vieles ist passiert. Manches hast du noch kommen sehen, anderes war damals undenkbar.
Was würdest du heute zu meiner Beziehung sagen? Zu einer Frau? Was wäre dein Rat, deine Meinung, die mir immer so wichtig war?
Ich glaube, du würdest sie mögen. Du würdest sehen, dass sie mir gut tut...manchmal...in manchen Stunden, bevor der Seelen-Kater folgt.
Tue ich ihr gut? Die Frage ist weit schwerer zu beantworten, aber auch da hättest du eine klare Meinung gehabt und mir gesagt. Du fehlst mir.
Was wäre Corona gewesen mit dir? Es wäre beruflich ebenso fatal gewesen. Aber all die Drohungen und Zwangsmaßnahmen in privater Hinsicht wären mit dir geradezu lächerlich gewesen. Du wärst extrem sauer gewesen, das ja. Dann hättest du dich geschüttelt und dir und mir klar gemacht, dass jetzt gekämpft wird. Und dann wäre das alles nicht so schlimm gewesen wie es jetzt ist.
Keine Quarantäne der Welt hätte uns und unsere Freundschaft auseinander gebracht. Ein lächerlicher Störfaktor, das ja. Aber wir beide...wir hätten diese Zeit locker gemeistert.
Und heute? Heute bin ich mir ziemlich sicher, dass ich eine staatlich angeordnete Quarantäne nicht überstehen würde. Ich kann ja nicht mal einen Tag daheim sein. Alleine. Mit diesem Kopf. Unvorstellbar.
Ich vermisse dich jede Sekunde an jedem Tag seit 800 Tagen. Leben ohne dich ist wie ein schwarzweiß-Film mit schlechtem Ton, wenn man vorher die moderne Technik gewöhnt war.
Ich arbeite. Ohja, aber das hast du vorher gesagt, hast es keine Sekunde bezweifelt. Mein Perfektionismus funktioniert und ich funktioniere mit ihm, und das wird wahrscheinlich so lange gehen, bis es nicht mehr geht. Und Perfektionismus ist spätestens dann kein Selbstzweck mehr, wenn man weiß, dass sonst nur ein Loch vorhanden ist, wenn er weg wäre.
Ich habe meine Freizeit. Ich treibe nach wie vor viel Sport, teils exzessiv und immer bis kurz vor dem Umfallen. Auch da hat sich nach außen nichts geändert, auch meine Trainingspartnerin nicht. Aber wenn ich danach heim komme, ist da keine beste Freundin mehr, die mich fragt, mir Tipps gibt und sich interessiert.
Ich treffe unsere Freundinnen. Wäre es nicht so traurig, wäre es witzig, wie genau die teilweise die Reaktionen und die unterschiedlichen Strategien, mit deinem Tod umzugehen, voraus gesagt hast. Stehen wir uns bei, wie du es gehofft hast? Ja...manchmal...manchmal und öfter. Ich glaube, sie kommen klar, soweit, auch wenn man in die Menschen nicht rein schauen kann.
Sie vermissen dich alle sehr, aber keine, so viel Egoismus erlaube ich mir, vermisst dich so wie ich.
Du und ich – das Drehbuch war doch ganz anders. Wäre alles normal gelaufen ohne das Schicksal, hättest du mich überlebt. Nicht heute, aber später mal. Darüber haben wir oft geredet. Und ich bin sicher, du hättest das so gestemmt wie du alles im Leben bis zum Schluss gemeistert hast.
800 Tage ohne dich. Morgen.Ich werde arbeiten. Viel arbeiten. Ins Training gehen. Und abends vermutlich eine Freundin treffen. Und doch wird es mich nicht ablenken können.
Und das Schlimmste ist, dass mit jeder Sekunde, die vergeht, während ich das hier tippe, sich die Zeitspanne vergrößert, seit der du nicht mehr am Leben bist. Jede Sekunde bedroht die Erinnerungen, die sich irgendwann verändern werden, ohne dass ich es überhaupt realisiere. Unerbittlich geht die Zeit weiter, lässt keine Sekunde aus und keinen Moment. Ein Zug, der niemals anhält. Und eine Notbremse ist nicht vorgesehen.
Die Zeit als größter Feind. Das Wertvollste, was ich jetzt noch habe, sind meine Erinnerungen an dich und unsere Zeit. Sie werde ich schützen, ganz egal wie und von welcher Seite sie bedroht werden.
Ich liebe dich. 800 Tage. Was für eine Zahl. Was für ein Schock. Was für eine lange Zeit. Unerbittlich und unglaublich leer.