Wie ich Jesus traf...

  • Vorweg muss ich sagen: ich bin Atheist. Die folgende Geschichte hat daher trotz des Titels nicht viel Religiöses an sich, aber das werdet ihr selbst noch feststellen. Dennoch habe ich diese Geschichte live so erlebt und ich habe daraus einen durchaus positiven Eindruck mitgenommen, den ich euch hier nicht vorenthalten möchte.


    Ich wohne seit ich denken kann, im Großraum von München. Seit dem bin ich ein in sich gekehrter, melancholischer und schüchterner Mensch. Ich hatte nie wirkliche Freunde um mich herum und jedes Mal wenn ich mein Elternhaus verlies, setzte ich eine Fassade auf um meinen verletzlichen Kern vor jedwegem Schaden und unangenehmen Gefühlen zu schützen.


    Vor einigen Jahren, ich war etwa 17 Jahre alt, lebte ein Mann in München und seiner Umgebung. Diese Mann hatte langes, zerzaustes Haar, trug ein leichtes Leinengewand und Sandalen und schlenderte regelmäßig mit seinen Einkaufstüten und im Gänsemarsch durch die S-Bahnen. Dabei hielt und öffnete anderen immer die Türen. Kurzum, der Typ wirkte wie ein Verrückter, der glaubte, er sei die Reinkarnation Chisti. Daher nannten wir ihn alle S-Bahn-Jesus. Und entsprechend wurde er von vielen Jungs und Mädchen meiner Altersklasse behandelt. Es wurde über ihn hergezogen und gelacht, was das Zeug hielt. Aber niemand traute sich ihn direkt anzusprechen. Ich für meinen Teil tat das ebenso, auch wenn ich nicht über ihn herzog. Dafür sah ich keinen Grund und obendrein hätte ich mich das ohnehin nicht getraut. Aber ich verspürte eine gewisse Form von Mitleid mit dem Mann. Immerhin war das was er tat, nichts verwerfliches. Ganz im Gegenteil. Ich habe ihn sogar ein wenig dafür bewundert, auch wenn ich ihn für verrückt hielt.


    Eines Tages begegnete ich dem Mann am Bahnhof meiner Heimatstadt. Er schlenderte gerade zu den Treppen, die zur Unterführung führten. In seinem gewohnten Tempo jeweils nur einen halben Schritt vor den anderen setzend, sah ich, wie eine Gruppe Jugendlicher an ihm vobei ging. Dabei unterhielten sie sich und mir kam zu Ohren, dass sie sich spöttisch und hämich über den Mann ausließen. Und mir war klar, wenn ich das hören konnte, dann konnte der Mann das auch. Doch ich war zu schüchtern um die Jungs darauf anzusprechen. Stattdessen ging in an dem Mann vorbei und schenkte seinem geknickt wirkenden Gesicht ein freundliches und aufmunterndes Lächeln.


    Den Blick des Mannes werde ich mein Leben lang nie vergessen. Mit einem Schlag wich die Trauer und der Schmerz aus seinem Gesicht und wandelte sich in das ehrlichste und freudigste Lächeln, das ich je in meinem Leben gesehen habe. Sein Blick traf mich so unerwartet und so tief, dass er wie ein Pfeil durch meine Fassade drang und direkt mein Herz berührte. Für einen Moment hielt ich es tatsächlich für möglich, dass der Mann die wahrhaftige Wiedergeburt Jesu sein könnte. Er hatte es mit nur einem Blick geschafft, mich derart aus der Fassung zu bringen, was selbst meine "Erzfeinde" nicht geschafft haben. Auf eine seltsame Art und Weise fühlte ich mich mit dem Mann verbunden. Ich könnte fühlen, was er fühlte und ich bin mir sicher, dass es ihm genauso ging, ehe wir beide in der Menschenmenge verschwanden.


    Erst Jahre später erfuhr ich, dass der Mann alles andere als verrückt war. Er litt an einer seltenen Krankheit, welche jede kleine Berührung auf seiner Haut wie Messerstiche wirken ließen. Der Mann tat nicht nur so, als würde er leiden. Er litt tatsächlich Höllenqualen. Und das mit jedem einzelnen vorsichtigen Schritt, den er tat. Heute weilt der Mann leider nicht mehr unter uns. Ich kann daher nur vermuten, was er jeden Tag durchmachen musste. Nicht nur die Schmerzen, sondern auch die vielen Blicke und das Getuschel seiner Mitmenschen. Dennoch glaube ich, dass ich ihm für einen kleinen Moment in seinem Leben ein Licht in der Dunkelheit war. Und wie ich es auch drehe und wende, ich komme nicht umhin zu sagen, dass auch er mein Leben irgendwie verändert hat. Es hat mir gezeigt, dass es Dinge im Leben gibt, die man nur erlebt, wenn man es auch wirklich zulässt. Und auch wenn es kleine Dinge sind, machen sie das Leben etwas lebenswerter.


    Seid einfach da für andere, wenn sie es am dringendsten brauchen. Ihr müsst dafür nicht viel tun. Denn wie meine Geschichte hoffentlich zeigt, genügt dafür manchmal nur ein freundliches Lächeln.

  • Eine traurige aber auch schöne Geschichte.

    Ja, das sehe ich auch so - ein Lächeln kann einem anderen Menschen den Tag retten.

    Geht mir nicht anders.

    Auch wenn es mir noch so schlecht geht, berührt es mich, wenn jemand mich einfach so anlächelt.

    Ist wie ein kleiner Lichtblick, der zeigt, dass doch nicht alles schlecht ist.

    Und das gebe ich auch immer sehr gerne an andere Menschen zurück!

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!